Deutsche Gebärdensprache und Cochlear Implantate (CI)
1. Allgemeine Informationen über Cochlea-Implantate
Das Cochlea-Implantat (englisch cochlear implant, CI) ist eine Hörprothese für Gehörlose und Ertaubte, deren Hörnerv als Teilorgan der auditiven Wahrnehmung noch funktionsfähig ist. Das CI-System besteht aus einem Mikrofon, einem digitalen Signalprozessor, einer Sendespule mit Magnet und dem eigentlichen Implantat, das sich aus einem weiteren Magneten, einer Empfangsspule, dem Stimulator und dem Elektrodenträger mit den Stimulationselektroden zusammensetzt. Die Elektroden werden in die Cochlea (Hörschnecke) eingeführt. Die Empfangsspule wird im Schädelknochen nahe der Ohrmuschel unter der Haut platziert. Die Sendespule des Prozessors haftet mit Hilfe der Magneten auf der Kopfhaut über der Empfangsspule des Implantats. Die Spannungsversorgung des Implantats erfolgt durch die Kopfhaut mittels elektromagnetischer Induktion. Die Signalübertragung erfolgt mit Hochfrequenzwellen. Näheres siehe Wikipedia!
2. Fragwürdige Praxis der Sozialleistungsbehörden - positive Rechtsprechung
Wenn gehörlose Kinder, die mit Cochlea-Implantaten versorgt wurden, neben der herkömmlichen Lautsprache auch die Deutsche Gebärdensprache (DGS) erlernen wollen, verweigern die zuständigen Sozialleistungsträger diesen hilfesuchenden Kindern oft hartnäckig und tendenziell objektiv-willkürlich eine Kostenübernahme für das Erlernen der Deutschen Gebärdensprache z. B. in Form sogenannter Hausgebärdensprachkurse.
Leider waren auch die von den Hilfesuchenden in ihrer Not angerufenen Sozialgerichte wiederholt nicht mit dem "Stand der Wissenschaft" vertraut und haben mehrere einstweilige Rechtsschutzbegehren von CI-versorgten Kindern im Alter von drei Jahren höchst fragwürdig abgelehnt.
Die daraufhin bei den Landessozialgerichten eingeleiteten Beschwerdeverfahren waren aber für die Kinder erfolgreich ausgegangen. Diesbezüglich möchte ich nachfolgend - exemplarisch - auf einen für ein gehörloses Kind im Alter von drei Jahren beim Landessozialgericht Bayern erstrittenen positiven Beschluss vom 28.01.2019, L 18 SO 320/18 ER (vorgehend SG Nürnberg, Beschluss vom 14. November 2018, S 8 SO 179/18 ER) hinweisen. In diesem Beschuss hat das Beschwerdegericht u.a. folgende interessante Ausführungen gemacht:
(1) "Der Antragsteller hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 SGB XII i. V. m. § 16 Nr. 2 EinglhV. Fraglich ist allein, ob der bestehende Eingliederungsbedarf durch die vom Antragsgegner bereits bewilligten Leistungen abgedeckt ist. Im vorliegenden Eilverfahren kann und muss nicht abschließend entschieden werden, ob nach der Besonderheit des Einzelfalles die Aussicht bestand, dass mit dem angestrebten Hausgebärdensprachkurs im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt wird. Es reicht aus, wenn hierfür die gute Möglichkeit besteht, was nach Auffassung des Senats der Fall ist. Denn es besteht - auch unter Berücksichtigung der vom Antragsgegner bereits gewährten Leistungen - eine entsprechende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kurs geeignet und erforderlich (und dann auch angemessen) ist, die Fähigkeit des Antragstellers, an der Gesellschaft teilzuhaben, maßgeblich zu verbessern. Für das Bestehen des Hauptsacheanspruchs spricht nach dem Bericht der Dipl.Soz.Päd (FH) E. (E) vom 30.07.2018, dass mit dem Antragsteller in der Familie von Anfang an lautsprachunterstützend unter Verwendung einzelner Gebärden kommuniziert wurde, dass beide Elternteile Kurse in DGS besuchen und dass auch die Schwester des Antragstellers an dem bereits stattfindenden Hausgebärdensprachkurs teilnimmt. Der Bericht der E führt ferner aus, dass sprachunterstützende Gebärden für das Verständnis von Erzählungen und Erklärungen notwendig seien, vor allem mit steigender Geräuschkulisse. Der Antragsteller habe von Anfang an auf Gebärden, die er auch schon von zu Hause gekannt habe, geachtet und diese schon vor der eigenen Sprachproduktion zur Kommunikation genutzt. Bei neuen Wörtern oder kleinen Sätzen verknüpfe der Antragsteller Wort und Gebärde. Durch die Anwendung sprachunterstützender Gebärden erlebe er weniger Frustration und seine Motivation zu sprechen steige. Für das Bestehen des Hauptsacheanspruchs spricht ferner, dass - wie sich aus den Entwicklungsberichten des Zentrums für Hörgeschädigte ergibt - der Antragsteller noch am Beginn seiner Hörentwicklung steht, erst langsam beginnt, auf Töne, Geräusche und Stimmen zu reagieren, und durch Blickkontakt, Gesten und kleinkindliche Gebärden kommuniziert. Der Entwicklungsrückstand in der aktiven Sprachentwicklung und im Sprachverstehen sei noch sehr groß, besonders in der Hör- und Sprachentwicklung sei noch kein altersentsprechender Entwicklungsstand gegeben. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Antragsteller Im Mai 2017 mit einem CI links und im Juli 2017 rechts versorgt wurde, dass er seither durch das Cochlea-Implantat-Centrum in W-Stadt versorgt wird und seit dem 01.09.2017 die Kindergrippe der N. gGmbH besucht. Ebenfalls nicht verkannt wird, dass berichtet wird, dass der Ast beginne, kleine Lautmalereien zu imitieren und sprachliche Informationen - wenn auch begrenzt - zu verstehen, dass er gute Fortschritte mache, dass die aktuell ermittelten Hörschwellen im altersgerechten Bereich und dass er seine Hörgeräte sehr gerne trage und einzelne Wörter zu sprechen beginne. Dies alles schließt - jedenfalls nach der im Eilverfahren nur gebotenen summarischen Prüfung - die Annahme einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des Hauptsacheanspruchs nach Auffassung des Senats nicht aus. Insbesondere bestehen die oben beschriebenen Entwicklungsrückstände des Antragstellers trotz der vom Antragsgegner bewilligten Eingliederungsmaßnahmen fort, was auf die Erforderlichkeit einer weiteren Förderung hindeutet. Für die Geeignetheit der Maßnahme spricht insbesondere das oben beschriebene familiäre Engagement. Klarheit über Geeignetheit und Erforderlichkeit der begehrten Leistungen kann aber erst eine weitere Aufklärung des Sachverhalts im Hauptsacheverfahren erbringen."
(2) "Auch ein Anordnungsgrund ist gegeben. Dem Antragsteller droht im Interimszeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein wesentlicher Nachteil, d.h. eine über Randbereiche hinausgehende Beeinträchtigung. Es besteht nach Einschätzung des Senats die gute Möglichkeit, dass ohne die Übernahme der Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs irreversible Entwicklungsverzögerungen des Antragstellers entstehen, die seine Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, erheblich beeinträchtigen. Von bestehenden Entwicklungsrückständen des Antragstellers geht offenbar auch das SG aus, wenn es ausführt, das Bedürfnis des Antragstellers und der Eltern des Antragstellers, möglichst bald eine gemeinsame Kommunikationsebene zu schaffen, sei nachvollziehbar und anzuerkennen, das bereits erworbene Hör- und Sprachvermögen des Antragstellers sei nicht altersgerecht. Welchen therapeutischen Nutzen ein Gebärdensprachkurs letztlich für den Ast mit sich bringt, wird das Hauptsacheverfahren erweisen. Es ist dem Antragsteller nach alledem wegen der in der Interimszeitzeit möglichen Beeinträchtigungen nicht zuzumuten, das Ergebnis einer erstinstanzlichen Hauptsacheentscheidung abzuwarten."
(3) "Auch eine Güter- und Folgenabwägung fiele im Übrigen zugunsten des Antragstellers aus. Das Bestehen des geltend gemachten Hauptsacheanspruchs ist überwiegend wahrscheinlich, jedenfalls ist ein Hauptsacheanspruch möglich (Abwägungselement des prospektiven Hauptsacheerfolgs). Der Eintritt von schweren Beeinträchtigungen bei Nichtgewährung des begehrten Eilrechtsschutzes ist jedenfalls denkbar. Die Eltern des Antragstellers beschreiben glaubhaft Gefährdungssituationen, in denen eine Verständigung mit dem Antragsteller nur durch Gebärdensprache möglich ist, um Gefahren zu vermeiden (Abwägungselement der Schwere und der Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Beeinträchtigung des Antragstellers). Die Eintrittswahrscheinlichkeit entsprechender Situationen mag nicht allzu hoch sein. Realisieren sich aber entsprechende Gefahren, sind auch schwere Beeinträchtigungen möglich. Im Übrigen hält es der Senat nicht für unwahrscheinlich, dass das Erlernen der Gebärdensprache die Teilhabe des Antragstellers am gesellschaftlichen Leben in nicht unerheblichem Maße verbessert."
3. Erlebnisbericht und Forschungsstand über Cochlea Implantate
Zudem möchte ich noch auf einen nachfolgenden Videobeitrag hinweisen. In diesem Videobeitrag werden Leben und Erfahrungen mit einem Cochlea-Implantat (CI) und Bedeutung der Gebärdensprache im Hinblick auf die Frage, ob die Versorung mit CI`s und das Erlernen der Deutschen Gebärdensprache im Widerspruch stehen?, anschaulich dargestellt. Die Moderatorin Olga Rogachevskaya befragt Elena Lehrmann und Benjamin Andlauer, wie es ist, mit einem Cochlea-Implantat (CI) zu leben. Die beiden Gäste erzählen von ihren Erfahrungen und wie sie sich damit in der Gehörlosen-Community fühlen.
Videobeitrag: www.youtube.com/watch?v=oz2aYK98F7
Schließlich wird noch auf einen Beitrag des Deutschen Bundesverbandes für akademische Sprachtherapie und Logopädie von Frau Karen Reichmuth aus dem Jahre 2017 zum Thema "Spracherwerb prälingual ertaubter Kinder mit Cochlea Implantat - aktueller Forschungsstand um Implikationen für die Sprachtherapie" hingewiesen, wonach der Spracherwerb mit CI´s Grenzen haben kann.:
http://sprachtherapie-aktuell.de/files/e2017-04_Reichmuth.pdf